„Schick ihn weg!“ Über das Wegscheuchen des Hundes als Erziehungsmethode

27.08.2019 | Literatur

Ein schöner Nachmittag. Ich bin mit Kind und Hund am hohen Elbufer Richtung Elbstrand unterwegs. Wir biegen um eine Ecke. Ein Husky trottet uns allein und mit hängendem Kopf entgegen. Ich frage mich, zu welchem Menschen er wohl gehören möge. Ich deute seine Mimik und Körperhaltung als alt und vielleicht auch schmerzgeplagt und vermute daraufhin, dass er hinter seinem Halter oder seiner Halterin zurückgeblieben sei (und ja, manche Hundehalter lassen ihren Hund auch in der Großstadt aus dem Blickfeld geraten). Tatsächlich hatten wir kurze Zeit vorher einen einzelnen Spaziergänger passiert, den ich zum potentiellen Halter erkläre.
Dass ich mich irre, stelle ich auf unserem Rückweg an beinahe derselben Stelle fest. Eine Frau kommt uns auf einem Stadtrad entgegen, hält an und fragt – erstaunlich ruhig -, ob ich ihren Hund, einen Husky, gesehen hätte. Ich berichte ihr… Und frage genauer nach:

Ihr Hundetrainer hatte ihr geraten, ihren Hund wegzuschicken, sollte dieser nicht auf ihren Rückruf hören; eine Methode, die dem Join-Up des bekannten Pferdemannes Monty Roberts entlehnt ist. Kurz zusammengefasst wird hierbei ein Pferd auf einem begrenzten runden Platz solange in Bewegung gehalten, bis es bestimmte Kommunikationssignale sendet, die als Anzeichen des Willens zur Annäherung interpretiert werden. Sind diese gezeigt, wird das Treiben abgebrochen und das Pferd zum Kontakt eingeladen. Das Pferd wird vor die Wahl gestellt: Entweder ich treibe dich oder du wendest dich mir zu, dann darfst du mir gerne folgen und zur Ruhe kommen (ein Zustand, den jedes Fluchttier anstrebt, da es stets genügend Energie bereithalten muss, um flüchten zu können). An der „Wahl“ scheiden sich die Geister. Die Verfechter dieser Methode sprechen von Freiwilligkeit und nennen diese Methode gewaltfrei. Die Kritiker verneinen das Vorhandensein einer Wahl und sprechen wenn nicht von Gewalt, dann zumindest von psychischem Druck, unter den das Pferd gesetzt wird.

So viel vorweg. Wie kommen Hundetrainer nun darauf, diese Methode beim Hund anzuwenden (in der Hoffnung, dass Trainer, die diese Methode ihren Kunden empfehlen, darüber nachdenken)? Hunde sind keine Fluchttiere. Hierin kann die Verbindung nicht liegen. Hunde haben jedoch wie Pferde auch ein Interesse ihre Sozialpartner nicht zu verlieren. Hier könnte also ein Vergleich angestrebt werden. Zweierlei Aspekte sprechen jedoch dagegen:
Der erste und entscheidendere Aspekt ist das Abwanderungsverhalten bei Hundeartigen. Wie wird einem heranwachsenden Caniden erklärt, dass er das Rudel zu verlassen hat? Er wird zunehmend ignoriert, ihm wird sein Anteil an der Beute zunehmend verweigert und er wird im Zweifelsfall auch vom Rudel auf Abstand geschickt. Was wird also durch die Methode, einen Hund von sich wegzutreiben (und natürlich auch schon durch stetes Ignorieren oder Futterentzug – zwei weitere Methoden, die nicht von wenigen Hundetrainern angeraten werden) getriggert? Der Hund denkt, es sei der Zeitpunkt gekommen, das Rudel zu verlassen und distanziert sich emotional von seinem Sozialpartner – genau das Gegenteil eines gelungenen Rückrufs also.

Der zweite Aspekt liegt darin, dass nicht wenige Hunde ihren Menschen gar nicht als unersetztbaren Sozialpartner anerkennen. Dies kann unterschiedliche Gründe haben – temporäre oder permanente: ein unkastrierter Rüde, der nichts anderes im Sinn hat als eine der vielen läufigen Hündinnen zu finden; Hunde, die ob ihrer Herkunft gewöhnt sind ohne Menschen zu überleben oder auch Hunde, die in wenig intensiven Beziehungen mit ihrem Menschen leben. Diese Gruppe von Hunden wird es nicht sonderlich beeindrucken, wenn ihr Mensch sie von sich weg schickt. Sie werden erst einmal auf Abstand gehen (oder sie sind so abgehärtet, dass sie gar nicht reagieren) und keinen tieferen Sinn in dem Verhalten ihres sonst vielleicht auch schon als merkwürdig eingeschätzten Menschen erkennen. Oder sie nutzen die Situation gar, um die Beschäftigung weiter zu verfolgen, die sie davon abgehalten hat auf den Rückruf zu reagieren, nämlich beispielsweise der läufigen Hündin nachzustellen. Die Methode funktioniert also nicht.

Der Husky gehört nicht einer dieser Gruppen an. Er steht auch nicht für die extrem sensiblen Hunde oder für die Hunde, die bereits die Erfahrung machen mussten, ihre Menschen mehrfach zu verlieren (Gruppen, die sehr unter dieser Methode leiden). Er und seine Halterin sind einfach ein langjährig eingespieltes Team, die sich inklusive der Eigenheiten des jeweils anderen gut kennen. Auch auf Eigenheiten – so nervig sie auch sein mögen – kann man sich verlassen. Nun hört die Halterin auf den Rat eines Hundetrainers, der lautet: Wenn dein Hund das nächste Mal nicht auf deinen Rückruf hört, renne auf ihn zu und scheuche ihn mit lauten „Hau-ab-Rufen“ von dir weg. Oder ähnlich. Wenn die Halterin darin überzeugend ist (wenn nicht macht die Methode gar keinen Sinn), nimmt ihr Hund sie ernst. Er kann nicht wissen, dass sein Mensch ihn natürlich wieder mit nach Hause nimmt. Er geht davon aus, dass er seinen Menschen verloren hat und genau dies soll der Hund auch empfinden. Als Folge dieses Gefühls soll ein gelungener Rückruf erwirkt werden.

Wer will, dass sein Hund auf Kosten eines solchen psychischen Drucks auf den Rückruf hört? Und hört er denn in Folge wirklich darauf? Es gibt keine Studien zu der Wirksamkeit dieser Methode. In Bezug auf Pferde gibt es jedoch eine interessante Studie, in der untersucht wird, was an der Methode des Join Ups die Pferde dazu bringt, sich dem Menschen anzuschließen: Cath Henschall zeigte 2012, dass ein ferngesteuertes Auto den Menschen adäquat ersetzen kann. Sie schließt daraus, dass es nur der Druck sein könne, der das Pferd in Angst versetzt und der bei Zurücknahme die Hinwendung des Pferdes zum Menschen bewirke. Der Mensch als kommunizierende Person, sei irrelevant.

Tragen wir einmal zusammen.
Der Hund ist kein Fluchttier. Der Hund ist nicht in dem Maße von seinem Sozialverband abhängig, wie es beispielsweise Pferde sind. Bei Caniden wird durch Ignorieren oder Wegscheuchen das Abwanderungsverhalten getriggert – und Huskys sind eine sehr ursprüngliche Rasse, deren Verhalten dem des Wolfes nah ist. Und selbst wenn trotz allem der Hund nicht bloß in der entsprechenden Situation froh sein sollte, seinen Menschen wieder zu haben, sondern tatsächlich überraschenderweise in der Folge auf den Rückruf hören sollte, wurde ihm dies durch eine Methode beigebracht, die mit psychischem Druck arbeitet, der schlichtweg die Angst ausnutzen soll, den Sozialpartner zu verlieren und alleine nicht überlebensfähig zu sein.

Bitte nicht!

Noch einmal zurück zu unserem Husky. Er war alt – und gerade bei Senioren ist eine sichere Bindung aufgrund ihres Alters und der dementsprechend zurückgehenden Fitness
in besonderer Weise bedeutsam. Er war auch schmerzgeplagt. Verlustängste hatte nicht nur er, sondern ob seines Verlorengehens mitten in der Großstadt (!) auch die Halterin, die sich schwor, nie wieder auf einen Rat, der die Beziehung zu ihrem Hund auf derartige Weise angreifen würde, zu hören.
__________________________________________________________________________________________________________B. Hinte-Breindl